FAKT und FAKE ~2kb







Theaterdonner

"Welch ein erhabner Geist. Verzeiht, Franziskus, edler Jüngling, wenn ich störe, Ihr seid ein Kopf, wie man hier selten einen trifft. Mögt Ihr mir eine Gunst gewähren? Euer Portrait, von mir gemalt, von Euch signiert, soll meine Galerie noch schmücken. Dies ist der Ort, an dem ich Menschen Eures Schlages sammle. Ich kann Euch sagen, Ihr habt die Ehre übervoll verdient. Genug für heute, nur noch eins, Euer Hut, wie kleidsam, gut, dafür habt Ihr den Kopf."

"Gatopulus, Ihr spottet meiner..."

Mein Sitznachbar hustete, steigerte sich bis zum Erstickungsanfall, verhinderte, dass ich den Rest der Antwort hörte. Ich sah Franziskus lachen, seinen Hut an der breiten Krempe packen und lüften. Dann ging er, begleitet von Gejohle und Beifallsklatschen derjenigen Zuschauer, die seinen Text verstanden hatten, von der Bühne.

Ein Theaterbesuch im Herbst ist nur ein bedingtes Vergnügen, dachte ich, während ein Keuchen und Schnauben neben mir die nächste Attacke ankündigte.

Auf der Bühne hatte währenddessen Franziskus Mutter ihren Auftritt:

"Sagt an, verehrter Gatopulus, werdet Ihr meinen Sohn mit Eurem Töchterlein ..."

Der Vortrag ging in einem Hustenanfall aus der Mitte des Parketts unter, der von einem Schnäuzen weiter vorne abgelöst wurde, und dann fiel auch mein Nachbar in das Konzert ein.

Gatopulus, dargestellt von W., dem Star unseres Theaters, antwortete nicht auf die gestellte Frage, sondern starrte ins Publikum. Vielleicht eine, möglicherweise sogar zwei Minuten, endlich kehrte Stille ein. Er nickte und begann seinen Monolog:

"Hab ich Euch nicht ermahnt, von diesem Unterfangen abzulassen? Meine Tochter werde ich niemals Eurem Sohne, diesem Dummkopf, Trunkenbold und Hasardeur, zum Weibe geben, er wäre bestenfalls bestimmt für..."

Ich erfuhr nicht, wen Gatopulus der Mutter des Franziskus als Schwiegertochter andienen wollte, denn aus einem Getuschel in der ersten Reihe war ein handfester Streit geworden:

"Zum letzten Mal, wenn du jetzt nicht dein Schandmaul hältst, hau ich dir eine rein!" Ein fetter Mann drehte sich seiner genauso korpulenten Frau zu, schaute sie herausfordernd an.

Nicht faul zeterte sie los:
"Was willst du Schlappschwanz? Mit Prügel drohen? Du Null, zu Hause im Ehebett da biste so klein mit Hut!"
Sie erhob sich ein Stück, deutete mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand an, wie klein Ihr Mann sei.

Der machte seine Worte wahr, stand auf und schlug ihr ins Gesicht. Die Frau fiel zurück in ihren Sitz, nutzte eine Lücke in seiner Deckung und landete eine rechte Gerade unter der Gürtellinie. Der Schlag wurde von einem Aufstöhnen der männlichen Zuschauer begleitet, kein Mensch interessierte sich mehr für das Geschehen auf der Bühne.
Der Mann sackte zusammen, krallte sich im Sturz an den Haaren seiner Frau fest und riss ihr die Perücke herunter. Ein kahler Kopf präsentierte sich, über und über mit roten Pusteln bedeckt.

Die Schauspieler traten an den vorderen Rand der Bühne, auch sie gebannt von der Darstellung des wahren Lebens.

Die Kahlköpfige versuchte in Richtung Ausgang zu fliehen. Ich verstand nicht, was den elegant befrackten Herrn, drei Plätze weiter, zu seiner Handlungsweise bewog, zumindest stellte er ihr ein Bein, so dass die Frau lang hinschlug. Ihr Mann hatte sich aufgerappelt, der Ehestreit war vergessen. Mit einem Aufschrei stürzte er sich auf den neuen Feind und begann mit der Perücke auf ihn einzudreschen, dass die Haare flogen. Seine Frau setzte sich auf und begleitete jeden Schlag mit:

"Ja, zeig's ihm, Willi!" oder "Immer feste druff! Hau die Canaille!"

Sie hätte besser auf den Begleiter des Eleganten geachtet, einen jungen Mann mit einer sportlichen Figur. Der holte aus, schlug ihr mit seiner Handtasche gegen den Kopf. Bestimmt befand sich etwas Hartes, Schweres in der Tasche, die Frau verdrehte die Augen und kippte zur Seite.

Das war der Moment, in dem W. ins Geschehen eingriff. Er sprang von der Bühne in den Zuschauerraum und stürzte sich auf einen kleinen Mann in der ersten Reihe, der bis dahin unbeteiligt zugeschaut hatte. Zum Kostüm des Gatopulus gehörte ein Schwert, er zückte die Waffe und begann mit der flachen Seite auf sein Opfer einzuschlagen.

"Tod allen Kritikern!", schrie er. Blut spritzte. Einige Zuschauer wichen ängstlich zurück.

W. drehte sich wie wild im Kreise, zwar lag der Gegner am Boden, aber auf seinem Rücken hatte sich eine Frau im Rodeokostüm festgekrallt und brüllte:

"Yeah Yeah Yepe Yeah, mein wilder Stier! "

Plötzlich verlor sie den Halt und flog im hohen Bogen in die zweite Reihe, landete auf einem freien Platz, direkt neben einer blonden, stark geschminkten Frau, die sich an ihren Begleiter klammerte und ihn anschrie:

"Bring mich hier raus, ich habe Dir doch gleich gesagt, dass ich diese pseudomodernen Inszenierungen hasse!"

Das war das Stichwort, die Keilerei war mit einem Mal beendet, alle Beteiligten erhoben sich. Der kleine Mann wischte sich Theaterblut aus dem Gesicht, W. umarmte ihn; das korpulente Ehepaar stand beieinander, er setzte ihr die Perücke wieder auf, die sie geziert zurechtzupfte, ihr Drohen mit dem Zeigefinger wurde mit einem Publikumslacher belohnt; der junge Mann hakte den Befrackten unter, holte aus seinem Täschchen eine Kamera und fotografierte das Publikum.

Der Rest der Inszenierung bot konventionelles Theatervergnügen, dem Regisseur waren die Einfälle ausgegangen, aber die Zuschauer erfuhren so wenigstens, wie die Tragikomödie endete.
Selbstverständlich bekam Franziskus die Tochter des Gatopulus zur Frau.

Der Schlussbeifall war verhalten, jedoch die Truppe von Artisten, die bei der Schlägerei den Hauptanteil gehabt hatten, wurde mit lauten Yepe-Yepe-Yeah-Rufen belohnt. Als W. mit der Rodeoreiterin auf dem Rücken die Bühne betrat, begann das Publikum zu trampeln.

In der Kritik am folgenden Tage war von Klamauk, wie auch von blödsinnigen Einfällen die Rede. Das Stück wurde nach drei Aufführungen abgesetzt. Der experimentierfreudige Regisseur ging zum Fernsehen, um dort eine steile Karriere zu machen.

© Klaus Helfrich 03-12-13

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